Wenn die “Aschenmöhm” kommt.
Am Sylvesterabend oder “Oljohrs-awend” braucht man im Heidedorf Schwalingen ein gutes
Gewissen - oder, ersatzweise, gute Nerven. Ja, denn in den späten Abendstunden des letzten
Tages des “Alten Jahres” geht die “Aschenmöhm” im Dorf von Haus zu Haus.
Am Sylvestertag hatten die Frauen das Regiment im Dorf und auf dem Hof. Am Abend wurde
dann im Familienkreis besonders gut gegessen. Allerlei Vorbedeutungen knüpften sich an das
Essen: Wer zuerst aufstand, mußte zuerst sterben... ! Wenn nach dem Essen zuerst ein Mann
hinausging, so brachte das nächste Jahr lauter Bullenkälber, wenn eine Frau, dann kamen lauter
Kuhkälber. Wer in der Geisterstunde der folgenden Nacht sich am Kreuzweg unter zwei
aneinander gelehnte Eggen setzt, sieht den Teufel tanzen. Jeder
wusste mit einer Überlieferung oder Geschichte zum Grusel
beizutragen.
So brachte sich die Runde im dämmerigen Licht der Feuerstelle auf
dem Flett im Laufe des Abends in eine allgemein ahnungsvolle
Stimmung und war jeden Moment darauf gefasst,
dass “das Schicksal” an die Hoftür klopft...
Und tatsächlich, spät am Abend, bei völliger Dunkelheit erschien
eine alte Frau auf dem Hof, die “Aschenmöhm”. Sie trug auf dem
Rücken einen Beutel mit Asche. Sie trat in die Runde am Feuer und
“nahm sich jeden und jede vor”. Erstaunlich, was sie alles über die Anwesenden wusste...
Diejenigen mit einem schlechten Gewissen und die, sich unehrerbietig zeigten, denen schlug sie
ihren Aschenbeutel um die Ohren. Von Ruß und Asche gekennzeichnet, waren sie für den Rest
des Abends als “Bestrafte” zu erkennen. Die Frommen aber, die wurden von der “Aschenmöhm”
beschenkt... !
Es ist anzunehmen, dass die “Aschenmöhm” im Laufe der Jahre auf den Gedanken kam, dass
sich die mit dem schlechten Gewissen und die Unehrerbietigen von dem üblen Schwärzen mit
dem Aschenbeutel doch lieber durch allerlei Gaben aus Küche und Keller oder auch aus dem
Geldbeutel “freikaufen” könnten. So erschloss sich ihr eine Quelle für ein “Extrabrot”. Es ist
allerdings zu vermuten, dass die “Aschenmöhm” bei der allzeit guten Gewissenslage der
Schwalinger dadurch zumindest in diesem Dorf nicht reich geworden sein kann...
Zu der Zeit hatte Schwalingen 18 Höfe oder Feuerstellen, wie man sagte. Das war für eine alte
Frau wie die “Aschenmöhm” noch gerade zu schaffen, um alle Höfe am Sylvesterabend
aufzusuchen und ihr “Geschäft” dort zu verrichten. Heute gibt es über 100 Höfe und Wohnhäuser
im Dorf - zu viel für eine einzelne alte Frau. Deshalb haben sich seit Jahrzehnten in Schwalingen
die Jugendlichen des sylvesterabendlichen “Geschäftes” der “Aschenmöhm” angenommen und
setzen so den uralten Brauch fort - so auch wieder zuverlässig im nächtlichen Dunkel des
Sylvesterabend 2013:
Schon von Weitem ist der Anmarsch der “Aschenmöhm” zu
sehen und zu hören. Bollenschüsse, Knaller und Raketen, laute
Rufe begleiten ihren Weg von Hof zu Hof. Aber es ist nicht eine
einzelne “Aschenmöhm”, nein, es ist eine ganze Gruppe f-
fröhlicher junger Schwalinger, wohl mehr als 1 Dutzend, die an
jedem Hoftor Halt machen und den Haus- oder Hofbesitzer laut
herausrufen.
Wer ein gutes Gewissen hat, der nähert sich den gar schrecklich
vermummten und maskierten Lärmenden gern und gibt
freiwillig seine gedachten Gaben in den mitgebrachten Sack oder
Korb der “Aschenmöhm”. Worauf sie dann als Dank mit
lautstarkem Freudengeheul und mehr Knallern oder auch einer
bunten Rakete von dannen zieht, dem nächsten Hof zu.
Wer sich aber der “Aschenmöhm” unerehrerbietig zeigt, es an
gebührendem Respekt in Form von Gaben fehlen lässt, der - ja,
der bekommt zwar keinen Aschenbeutel um die Ohren. Aber die “Aschenmöhm” ist sehr
erfinderisch und einfallsreich... Da gibt es Geschichten aus Jahrzehnten Erfahrungen mit der
“Aschenmöhm” an Sylvester im Dorf, die besser nur mündlich weitergegeben werden...
Und was ist mit dem Geschenk der “Aschenmöhm” an die mit dem guten Gewissen ? Die dürfen
sich freuen, dass die “Aschenmöhm” an kommendem Sylvester wieder kommen wird.
Und die anderen ? Die müssen sich davor fürchten...