Vor hundert Jahren:
Das Erntefest in der Lüneburger Heide
Ein Volksfest im besten Sinne des Wortes war das Erntefest, der “Ohrendag”.
Man feierte das Fest nicht wie heute, wo es ebenfalls zu einer bloßen Tanzerei
herabgesunken ist und nur noch der Erntekranz und das bekränzte Orchester an
den eigentlichen Zweck erinnert, bei einem Gastwirte, sondern abwechselnd in den
Bauernhäusern.
Hatte in dem einen Jahre der Besitzer von Hof 1 das Fest, so im folgenden der
von 2, und so fort. Auf der Großen Diele wurde eine Tanzbrücke gelegt, etwa an der
Grenze zwischen Diele und Flett kam der lange Musikantentisch zu stehen.
Es wurde geschlachtet und gebacken. Alles war für Geld zu haben; nur das Bier
und den Koem (Kümmel, Branntewein) hielten die Burschen selbst, beides gab es
umsonst. Dafür hatte aber jeder, mit Ausnahme der auswärtigen Frauen und
Mädchen, einen bestimmten Betrag zu entrichten; selbst die einheimischen
Mädchen zahlten (8 Schilling) und gaben außerdem noch etwas für das Papier und
Gniddergold des Erntekranzes.
Über dem Musikantentische war ein Tannengewinde angebracht, in dem man
bunt durcheinander Roggen- und Haferähren, Buchweizen, Wurzeln, Steckrüben,
Runkeln, Vogelbeeren, Blumen und Äpfel sah. Auf der Diele hingen geliehene
Lampen am Boden, der wegen der Feuersgefahr gewöhnlich durch “Koken-
platen” (Kuchenplatten) geschützt war.
Der Hauptschmuck war die Erntekrone; schon tagelang vorher hatten die
Mädchen sie in dem Hause, an dem das vorjährige Erntefest begangen
worden war und in dem auch die Reste der letzten Erntekrone aufbewahrt
wurden, hergestellt. Über zwei etwa 60 Centimeter langen Querhölzern
erhoben sich die Bügel (gewöhnlich Tonnenreifen). Diese wurden mit
Tannenzweigen, Vogelbeeren, Ähren und Buchsbaum bebunden und an
ihnen Bänder aus buntem Papier befestigt, die mit allerlei
zurechtgeschnittenen Figuren aus Gniddergold benäht waren. Auch an den
Querhölzern wurde Tannengrün befestigt, und Vogelbeerketten und Vögel
(ausgepustete Eier, mit Kopf und Schwanz versehen und mit Gold- und
Silberpapier beklebt) schaukelten darunter.
Am Nachmittag des ersten Tages, des Sonntags, wurde in feierlichem
Zuge - die Musikanten voran, die Burschen und Mädchen dahinter - der
Kranz abgeholt. Auf einer Stange trug man ihn zum Festhause, wo er mittelst
einer Stricköse am Boden aufgehängt wurde. Und nun flog das junge Volk der
Schnitter zum Tanz, und zu ihnen gesellten sich die Alten.
Am anderen Vormittag durften Knechte und Mägde, wenn das Vieh
gefüttert worden war, ausschlafen; es war ja ihr Fest.
Am Nachmittag begann die Feier aufs neue. Zum Schluß ging es an das
Plündern des Kranzes. Die Kinder wurden hinangehoben; jedes pflückte, was
es bekommen konnte, heraus.
(aus dem Buch “Das alte Bauernleben in der Lüneburger Heide”, von Prof. Eduard Kück, 1906)
Erntefestbräuche
in der Lüneburger Heide
Erntefest in Schwalingen
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