Ein Stellvertreter
für das Risiko.
Eigentlich ist es ein erfreuliches Ereignis: Im
November 1863 feiert HINRICH Christoph Böhling
auf dem elterlichen 'Menken-Hof' zu Schwalingen
No.39 seinen 20.Geburtstag. Er wird damit aber auch
nach dem 'Gesetz über die Verpflichtung der
Unterthanen zum Militairdienste' des Königreiches
Hannover militärdienstpflichtig...
Und das ist auch der Grund, warum seinem Vater, dem Brinkköthner Johann CHRISTOPHER Böhling
*1813 an diesem Feiertag seines zweiten Sohnes andere Gedanken durch den Kopf gehen. Er ist ein
vorausschauender Mann. Für ihn ist es von größter Wichtigkeit, dass sein 'Menken-Hof' in der Erbfolge
gesichert bleibt und so hat er eine ungute Ahnung, falls HINRICH Christoph tatsächlich in den langen 7-
jährigen Militärdienst treten sollte. Denn der Erstgeborene und Anerbe auf dem "Menken-Hof", der
ebenfalls auf den Namen Hinrich CHRISTOPH *1840 getauft ist, ist geistig behindert und es muss
angenommen werden, dass ihm die gutsherrliche Genehmigung zur Übernahme des Meierrechtes an
dem 'Menken-Hof' bei Erreichen der Volljährigkeit versagt werden wird. Damit liegen alle Hoffnungen
von Johann CHRISTOPHER Böhling für die Erbfolge auf seiner Brinkköthnerstelle auf seinem
Zweitgeborenen, HINRICH Christoph.
Sollte also HINRICH Christoph während des Militärdienstes etwas zustoßen oder es sogar Krieg
geben - die Zeichen der Zeit sind unübersehbar -, wären die Folgen für die Böhlings auf dem 'Menken-
Hof' nicht abzusehen. Außerdem fiele HINRICH Christoph für ganze sieben Jahre als wertvolle
Arbeitskraft für den 'Menken-Hof aus. Seine jüngeren Brüder sind erst 14 und 9 Jahre alt.
Brinkköthner Johann CHRISTOPHER Böhling ringt um eine Lösung für
sein Dilemma. Er berät sich dabei wohl auch mit seinem Schwiegersohn Hinrich Christoph Witte *1831
vom "Schün-Hof" zu Schwalingen No.4, den seine älteste Tochter Anna Maria *1837 geheiratet hat. Nach
langem Überlegen kommt Johann CHRISTOPHER Böhling zu dem Schluss, seinen zweiten Sohn HINRICH
Christoph den Militärdienst nicht antreten zu lassen. Stattdessen soll ein "Militär-Stellvertreter" für ihn
verpflichtet werden, was nach Hannöverschem Recht unter starken Auflagen erlaubt ist. Aber es muss
schnell gehen, denn der Stellvertreter muss den Behörden präsentiert werden können, sobald HINRICH
Christoph von der Aushebungs-Commission zur Untersuchung aufgerufen wird. Und diese
Untersuchungen finden für HINRICH Christophs Jahrgang 1843 schon ab März 1864 statt.
Tatsächlich erhält HINRICH Christoph im Frühjahr 1864 den Aufruf der Aushebungs-Commission zur
Untersuchung. Er wird für tauglich befunden und zieht bei der anschließenden Losung die Los-Nr.166.
Bei einer so niedrigen Los-Nummer ist es geradezu gewiss, dass er den Gestellungsbefehl erhalten wird.
Ein Agent wird mit der Benennung eines geeigneten Militär-Stellvertreters beauftragt und schon am
30.März 1864 hält Brinkköthner Johann CHRISTOPH Böhling mit Erleichterung das entscheidende
Dokument in den Händen:
Der District-Commissair für den District des 2ten Bataillons, 5.Infanterie-Regiment bestätigt, wie
amtlich vorgeschrieben, dass der "Militärpflichtige HINRICH Christoph Böhling geboren 1843 zu
Schwalingen (No.28 der Generalliste und Loosungs-Nummer 166) in der Person des Joachim Sangenstedt
aus Drage, Amt Winsen a.d.Luhe, Jahrgang 1839, Loos-No.994, einen Militär-Stellvertreter gestellt" hat.
Mit der Gegenzeichnung des Dokumentes durch den Amtmann Stuckenschmidt des Königlich
Hannoverschen Amtes Soltau am 1.April 1864 wird es rechtskräftig.
Um zu diesem Ergebnis zu gelangen hat Brinkköthner Johann
CHRISTOPH Böhling einiges in die Wege geleitet. Schließlich ist die Verpflichtung eines Stellvertreters
für den Militärdienst eine rechtlich bedeutsame und sehr teure Angelegenheit über viele Jahre, nämlich
von April 1864 bis März 1871:
Im April 1864 schließt in Lüneburg Brinkköthner Johann CHRISTOPH Böhling aus Schwalingen für
seinen militärpflichtigen Sohn HINRICH Christoph Böhling vom Geburtsjahr 1843, Loos-No.166 des
Untersuchungsbezirks Amt Soltau einen 'Militair-Stellvertretungs-Contract' mit dem
Korbmachergesellen Joachim Sangenstedt aus Drage, Amt Winsen a.d.Luhe, vom Geburtsjahr 1839, Loos-
No.994. Der Stellvertreter erhält für die von ihm übernommenen Militärverpflichtungen 350 Reichthaler
in Raten:
nach erfolgter Einstellung in den Militärdienst 50 Thaler,
nach 18 monatlicher Dienstzeit 100 Thaler zu 4% Zinsen p.a.,
den Rest mit 200 Thalern nach abgelaufener Dienstzeit (200 Thaler bleiben dafür im Hofe des Vaters
des Vertretenen stehen und werden jährlich mit 4 pro cent verzinst)
Johann CHRISTOPH Böhling unterschreibt, Joachim Sangenstedt unterkreuzt den Contract. Seine
Richtigkeit bescheinigt der Königlich Hannoversche Notar Georg Jakob Heitmann. Die obrigkeitliche
Bestätigung erhält der Contract am 30.April 1864 durch den Amtmann Stuckenschmidt, Königlich
Hannoversches Amt Soltau.
Die erste Zahlung von 50 Thaler an den Stellvertreter Sangenstedt hat Johann CHRISTOPH Böhling
bereits am Tag vor der Unterzeichnung des Stellvertreter-Contractes in Lüneburg geleistet. Er wollte
wohl sicher gehen, dass der Stellvertreter den Contract tatsächlich unterzeichnen wird.
Die unguten Ahnungen von Brinkköthner Johann CHRISTOPH Böhling
gehen in Erfüllung. Er selbst erlebt aber nicht mehr, wie segensreich sich seine Entscheidung, einen
Militär-Stellvertreter für seinen Sohn HINRICH Christoph zu verpflichten, auf die Zukunft seiner
Brinkköthnerstelle auswirken - er stirbt plötzlich im Januar 1866 nach einem Schlaganfall, mit 52 Jahren.
Ein halbes Jahr später, im Juni 1866 bricht dann der "Deutsche Krieg" aus, in dem die Truppen des
Königreiches Hannover an der Seite Österreichs gegen die des Königreiches Preußen kämpfen. Der
Militär-Stellvertreter von HINRICH Christoph Böhling, Joachim Sangenstedt, ist als Infanterist dabei, als
die hannoversche Armee gegen Ende Juni 1866 preußische Truppen bei Langensalza siegreich bezwingt,
sich aber am folgenden Tag wegen Nachschubmangel der preußischen Überlegenheit ergeben muss. Das
Königreich Hannover geht unter und wird preußische Provinz.
Joachim Sangenstedt überlebt den "Deutschen Krieg" und macht seinen vertraglichen Anspruch auf
Auszahlung der 2.Rate seines Entgeltes nach 18 Monaten Dienstzeit geltend. Im Oktober desselben Jahres
1866 quittiert er, 100 Thaler nebst Zinsen richtig erhalten zu haben.
Im Sommer 1870 ist HINRICH Christoph Böhling, nun 26 Jahre alt, bereits einige Jahre
Brinkköthner auf dem Schwalinger "Menken-Hof", als erneut der Krieg ausbricht. Im Juli 1870 beginnt
der "Deutsch-französische Krieg". Erneut bewahrt ihn der Militär-Stellvertreter-Contract davor, sein
Leben im Felde zu riskieren, den sein verstorbener Vater für ihn mit Joachim Sangenstedt geschlossen
hat. Es ist das letzte Jahr des siebenjährigen Contractes...
Aber für den jüngeren Bruder von HINRICH Christoph Böhling, Johann FRIEDRICH
*1850, ist kein Militär-Stellvertreter verpflichtet worden. Als Musketier der 5.Compagnie des
2.Hannoverschen Infanterie-Regimentes No.75 "Bremen" nimmt er am preußischen Feldzug nach
Frankreich teil.
Bei dem Angriff auf die Stadt Orléans an der Loire in Mittelfrankreich wird Johann FRIEDRICH
Böhling am 4.Dezember 1870 im Wald von Orléans durch einen Schuss in die Seite tödlich getroffen. Er
stirbt noch auf dem Schlachtfeld und wird dort begraben, er wurde 20 Jahre alt. So erreicht die
Nachricht von Johann FRIEDRICH Böhlings Tod seine Familie in Schwalingen gegen Ende Dezember 1870.
Im Mai 1871 endet der "Deutsch-französische Krieg" mit dem Sieg Preußens und seiner Vebündeten.
Joachim Sangenstedt überlebt auch den 'Deutsch-französischen Krieg'. Er kommt schon im April
1871, kurz vor dem Ende des Krieges, nach Schwalingen auf den "Menken-Hof" und rechnet mit
Brinkköthner HINRICH Christoph Böhling die Bezahlung für den Dienst als sein Militär-Stellvertreter ab.
Er erhält die vereinbarten restlichen 200 Thaler nebst Zinsen ausbezahlt. Abschließend bestätigt Joachim
Sangenstedt, dass er insgesamt 350 Thaler nebst Zinsen für 7 Jahre = 62 Thaler, gesamt 412 Thaler
erhalten und er darauf auf seinen Dienst keine Ansprüche mehr habe. Der Schwalinger
Gemeindevorsteher Christoph von Fintel, "Höker-Hof" zu Schwalingen No.17, attestiert die eigenhändige
Unterschrift von Joachim Sangenstedt mit Unterschrift und Siegel der Gemeinde Schwalingen, Amt
Soltau.
Brinkköthner Johann CHRISTOPHER Böhling *1813 hat also in seiner Voraussicht
klug gehandelt, als er 1864 den Militär-Stellvertreter für seinen Sohn und Erben HINRICH Christoph
verpflichtete. In dessen 7-jährige Dienstzeit fielen der "Deutsche Krieg" von 1866, der 'Deutsch-
Französischen Krieg' 1870/1871, in dem sein zweitjüngster Sohn Johann Friedrich tödlich verwundet
wurde und - sein frühzeitiger eigener Tod im Jahre 1866.
HINRICH Christoph Böhling führt den “Menken-Hof” durch Mut und Tatkraft in eine erfolgreiche
Zeit. Aber auch er hat mit seiner Ehefrau Anna Wilhelmine, geborene Witte (Halbhof Peetz zu
Schwalingen No.32), kluge Entscheidungen zu treffen um die Zukunft der Brinkköthnerstelle und ihrer
Kinder zu sichern ... mehr...
Wovor HINRICH Christoph Böhling vielleicht durch die Vorsorge seine Vaters bewahrt blieb, ereilt
seinen eignen Sohn Ernst AUGUST: Er fällt im August 1915 im 1.Weltkrieg an der Ostfront, 2 Tage vor
seinem 39.Geburtstag... mehr...
Suche nach dem Ausweg.
Der Stellvertretungs-Contract.
Tod des Vaters und Krieg.
Wieder Krieg.
Der Bruder fällt.
Weise Voraussicht.
Der Brinkköthner-Hof “Menken”
Das begehrte, aber teure Dokument: Die Befreiung
vom Militärdienst duch Stellung eines Stellvertreters.
Hinrich Christoph Witte, geb.1831,Anbauer auf
dem Schün-Hof zu Schwalingen,
ist Schwiegersohn
von Johann CHRISTOPH Böhling.
Juni 1866, Das Königreich Hannover
wird preußische Provinz.
HINRICH Christoph Böhling,
Brinkköthner auf dem “Menken-Hof “
zu Schwalingen
1871: Preußen besiegt Frankreich
Gedenktafel in
Neuenkichen.