Die Familie Schröder, von der hier berichtet wird, hat ihre frühesten bekannten Wurzeln um die Mitte des
17.Jahrhunderts im Kirchspiel Schneverdingen. Ihren Lebensunterhalt verdient sie nicht mehr als Tuchschneider, wie
einige Jahrhunderte zuvor, als ihr Familienname Schröder aus diesem Handwerk entstand. Nun sind es Bauern oder
"Colonen", die vom Landesherrn, dem Kurfürsten von Hannover, mit seinem Grund und Boden bemeiert sind, um
darauf zu wirtschaften und ihm im Gegenzug dafür Abgaben und Steuern bezahlen.
Zu Beginn des 18.Jahrhunderts treffen wir die Familie Schröder als Bauern in dem Dorf Reimerdingen
im Kirchspiel Schneverdingen. Hier kommt im Dezember 1733 der Sohn Christoph Schröder zur Welt. Mit
29 Jahren heiratet er im November 1763 die in Heber geborene Catharine Ilse Baden, 18 Jahre alt. Ihr Vater
stammt aus Delmsen im Kirchspiel Neuenkirchen und kam 1728 durch Einheirat auf den Erbhof seiner
Ehefrau in Heber.
16 Jahre nach der Heirat von Christoph Schröder und Catharine Ilse Baden wird im April 1779 ihr Sohn
Hans Hinrich Gerhardt Schröder in Freiersen im Kirchspiel Schneverdingen geboren, wo die Familie einen
Hof bewirtschaftet . Er ist nicht der Erbe des elterlichen Hofes und verlässt später den Hof mit einer
Abfindung.
Im Jahr 1801 heiratet Hans Hinrich Gerhardt Schröder die Jungfrau Catharina Maria Meyer aus
Langeloh im Kirchspiel Schneverdingen. Das Ehepaar lässt sich als grundbesitzlose Häuslinge in Hemsen
nieder, dem Nachbardorf von Freiersen. Hier kommt im Mai 1819 ihr Sohn Conrad Friedrich Schröder zur
Welt.
Conrad Friedrich Schröder bleibt mit seiner 1. Ehefrau Catharina Maria, geborene Tödter, in seinem
Geburtsdorf Hemsen und gründet mit ihr dort eine Häuslingsfamilie. Nach ihrem Tod im Oktober 1854
geht Witwer Conrad Friedrich Schröder mit der 28-jährigen Ilse Margarethe Brockmann seine 2.Ehe ein.
Ilse Margarethe Brockmann ist im August 1828 in Zahrensen, Kirchspiel Schneverdingen, geboren, wo
ihre Eltern den Lebensunterhalt als Häuslinge verdienten. Dann siedelte ihre Familie als Häuslinge nach
Hemsen über. Ihr Vater Carsten Brockmann wurde auf dem Vollhof Meyerhof bei Schneverdingen geboren,
auf den dessen Vater, der Großvater von Ilse Margarethe Brockmann, ebenfalls Carsten mit Vornamen, im
Jahre 1769 eingeheiratet war. Er stammt vom Vollhof Gallhorn im Kirchspiel Schneverdingen, mit dem die
Familie Brockmann über Jahrzehnte vom Landesherrn bemeiert war. (Gallhorn wird im weiteren Verlauf
noch eine Rolle spielen)
Im Oktober 1869 wird in Hemsen in der Familie von Conrad Friedrich und Ilse Margarethe Schröder,
geborene Brockmann, ihr Sohn Heinrich Friedrich Wilhelm Schröder geboren. Er ist erst 12 Jahre alt, als
sein Vater im Oktober 1882 mit 63 Jahren stirbt. 5 Jahre später wird Heinrich Friedrich Wilhelm Schröder
durch den Tod seiner Mutter im Januar 1887 Vollwaise.
Weil Heinrich Friedrich Wilhelm Schröder beim Tod seiner Mutter noch minderjährig ist, wird er vom
Soltauer Vormundschaftsgericht unter Vormundschaft gestellt worden sein. Zwei gerichtlich bestellte
Vormünder begleiten ihn durch sein Leben bis zu seiner Volljährigkeit mit Vollendung des 25.
Lebensjahres. Als Vormünder wurden üblicherweise gut beleumundete männliche Personen aus der
Verwandtschaft oder Nachbarbarschaft des Mündels vom Vormundschaftsgericht bestellt.
Vor 100 Jahren - Abschied für immer
Anbauer Friedrich Schröder in Schwalingen
Vielleicht erklärt sich aus dieser Zeit von Heinrich Friedrich Wilhelm Schröder als Mündel, dass wir ihn
mit 30 Jahren im Jahre 1899 als Dienstknecht im Dorf Alm, Kirchspiel Soltau, wiedertreffen. In diesem Jahr
1899 heiratet er im Mai die 21-jährige Catharina Sophie Marie Hebenbrock aus Harber im Kirchspiel Soltau.
Im Jahre 1909 kommt im August im Dorf Heidenhof, Kirchspiel Soltau, in der Häuslingsfamilie von
Heinrich Friedrich Wilhelm und Catharina Sophie Marie Schröder ihr Sohn Heinrich Wilhelm Friedrich
Schröder zur Welt. Seine Eltern lassen ihn Anfang September 1909 in der St. Johanniskirche in Soltau
taufen.
Schon 1 Jahr später, 1910, ist Heinrich Friedrich Wilhelm Schröder mit seiner Familie von Heidenhof im
Kirchspiel Soltau nach Gallhorn im Kirchspiel Schneverdingen umgesiedelt. Hier macht sich Heinrich
Friedrich Wilhelm Schröder mit 41 Jahren als Anbauer selbstständig, Anbauerstelle Gallhorn No.3.
Vielleicht ist es ihm durch eine verwandtschaftliche Beziehung in der Familie seiner Mutter Ilse
Margarethe geborene Brockmann in Gallhorn ermöglicht worden, eine Anbauerstelle, vermutlich in Pacht,
zu übernehmen (siehe weiter oben)?
Im November 1913 liest der Anbauer in Gallhorn, Heinrich Friedrich Wilhelm Schröder, in der lokalen
Presse, die "Böhme-Zeitung", dass in dem Dorf Kempen im Kirchspiel Neuenkirchen das Inventar eines
Hofes auf einer Auktion versteigert werden soll. Er ist interessiert, einige Gegenstände für seinen Hof zu
ersteigern und nimmt an der Auktion in Kempen teil. Die Auktion wird von dem Anbauer und Vorsteher
der nachbarlichen Gemeinde Schwalingen geleitet, der auch als Auktionator amtlich vereidigt ist.
Als sich Heinrich Friedrich Wilhelm Schröder nach Abschluss der Auktion in Kempen auf den Heimweg
nach Gallhorn macht, hat er nicht allein Gegenstände im Wert von 50,00 Mark ersteigert. Er wird auch
viele Kontakte geknüpft haben und interessante Neuigkeiten mit nach Hause tragen. Vielleicht hat er
dabei erfahren, dass in Schwalingen ein Grundstück zur Errichtung einer Anbauerstelle angeboten wird?
Jedenfalls erwirbt Heinrich Friedrich Wilhelm Schröder in
dieser Zeit im Dorf Schwalingen ein Grundstück von etwa 1
Hektar Fläche an der Nordseite des Osterfeldes, errichtet darauf
ein landwirtschaftliches Wohn- und Wirtschaftsgebäude und
gründet eine Anbauerstelle. Sie erhält die Hausnummer 65.
Heinrich Friedrich Wilhelm Schröder ist nun mit 45 Jahren
selbstständiger Landwirt in Schwalingen, seine Ehefrau ist 37
Jahre alt, sein Sohn noch keine 5 Jahre.
Wie überall auf den Höfen in Schwalingen und Umgegend ist
es auch für die Anbauerfamilie Schröder ein schwerer Schicksals-
schlag, der ihre Lebensführung ins Ungewisse stürzt, als schon
wenige Monate nach der Hofgründung, Anfang August 1914, der
Erste Weltkrieg ausbricht. Die anfängliche Hoffnung auf ein
schnelles und siegreiches Ende des Krieges muss dem Entsetzen
über die vielen Todesmeldung von der Front weichen, zu dem
sich schon bald auch große Not und schwere Entbehrung der
Bevölkerung einstellen.
Zwar bleibt die Familie Schröder auf ihrer neuen Anbauerstelle von einem Gestellungsbefehl zum
Kriegsdienst verschont, denn Vater Heinrich Friedrich Wilhelm ist zu alt und Sohn Heinrich Wilhelm
Friedrich ist zu jung, um in diesem Krieg eingezogen zu werden. Doch die Trauer um Millionen gefallener
Soldaten, das große Leid der wirtschaftlichen Not und das Trauma des am Ende verlorenen Krieges wird
auch sie tief ergriffen haben.
Nach Kriegsende 1918 sind wohl auch in der Familie Schröder auf
ihrer Anbauerstelle in Schwalingen die bei der Gründung vor fast 5
Jahren geträumten Träume und Hoffnung auf eine auskömmliche
und zufriedene Zukunft zerstört.
Die Aussichten verdüstern sich weiter durch die erdrückenden
Reparationsforderungen der Kriegsgegner gegen Deutschland, die
einen wirtschaftlichen Aufschwung verhindern. Die politische
Instabilität im Lande, die Radikalisierung der politischen Gegner
verunsichern die Bevölkerung, die in großen Teilen durch
Arbeitslosigkeit in wirtschaftliche Not gerät. Das alles wird begleitet
von einer rasant zunehmenden Geldentwertung, die 1923 ihren
katastrophalen Höhepunkt findet.
Bei einer amtlichen Viehzählung wird durch den Schwalinger Volksschullehrer Eickemeyer auf der
Anbauerstelle von Heinrich Friedrich Wilhelm Schröder ein bescheidener Viehbestand von 2 Ziegen und 4
Hühnern festgestellt.
In dieser Lage und ohne Aussicht auf eine baldige und nachhaltige Besserung entschließt sich Anbauer
Heinrich Friedrich Wilhelm Schröder im Jahr 1923 mit seiner Familie zu einer großen Entscheidung: Die
Anbauerstelle, ihr gesamtes Hab und Gut soll verkauft und mit dem Erlös die Auswanderung und eine
neue Existenzgründung in Übersee finanziert werden.
Sie sind nicht die einzigen Menschen in Schwalingen und Umgebung, die in dieser bedrückenden Zeit
die schwere Entscheidung treffen, ihre Heimat und Deutschland für immer zu verlassen.
Anders als die meisten der Schwalinger Auswanderer in früheren Jahren und auch jetzt, beabsichtigt
die Familie Schröder nicht, nach Nordamerika auszuwandern. Ihr Ziel ist Brasilien. Wie die Vereinigten
Staaten von Amerika bietet auch Brasilien den Einwanderern Landerwerb zur landwirtschaftlichen
Nutzung zu günstigen Konditionen an.
Ende 1923 sind alle Entscheidung getroffen und die Vorbereitungen für die Auswanderung angelaufen.
Im Dezember 1923 erteilt der Landrat des Landkreises Soltau dem Ehepaar Heinrich Friedrich Wilhelm
Schröder und Catharina Sophie Marie Schröder, geborene Hebenbrock, ein einwandfreies "Leumunds-
Zeugnis" - der Auswanderung steht nun rechtlich nichts mehr im Wege.
Anfang Januar 1924 ist in der „Böhme-Zeitung zu“ lesen, dass das gesamte Inventar der Anbauerstelle
von Friedrich Schröder in Schwalingen auf einer Auktion zum meistbietenden Kauf angeboten werden
wird. Auktionator ist der Anbauer und Vorsteher der Gemeinde Schwalingen, Wilhelm Witte.
Das Interesse ist groß und zahlreiche Bieter aus Schwalingen und Umgebung finden sich auf der
Anbauerstelle ein. Schließlich kann Heinrich Wilhelm Friedrich Schröder vom Auktionator Witte den Erlös
der Auktion in Höhe von 628,23 Mark in Empfang nehmen.
Auch bei dem Verkauf von Haus und Hof der Anbauerstelle wird Wilhelm Witte behilflich gewesen
sein. Ein Käufer findet sich in dem jungverheirateten Wilhelm Friedrich Grefe aus dem Nachbardorf Tewel.
Seine Ehefrau Anna Minna, geborene Gebers, stammt vom Halbhof "Lümas", der in Schwalingen in
unmittelbarer Nachbarschaft zur Anbauerstelle der Familie Schröder gelegen ist, nur wenige Schritte
entfernt. Wilhelm Friedrich Grefe ist als Viehhändler in der Umgebung sehr erfolgreich tätig, was dazu
führt, dass ihm die Dorfbewohner auf ihre Art den scherzhaft gemeinten Beinamen zulegten: "Vieh-Jude
Itz", was so viel wie geschäftstüchtiger Schlaukopf bedeutet. So dauerte es auch nicht lange, bis die
Anbauerstelle einen Hofnamen bekam: "Itz'n".
Es ist dem Ehepaar Schröder ein Bedürfnis, dass ihr 14-jähriger Sohn Heinrich Friedrich
Wilhelm Schröder noch vor der Auswanderung konfirmiert wird. Pastor Böster hat Verständnis
für die Bitte der Eltern und ihres Sohnes. So wird Heinrich Friedrich Wilhelm Schröder nicht erst
an Ostern 1924, sondern bereits im Januar 1924 in der St.Bartholomäuskirche zu Neuenkirchen
konfirmert. "Wegen Auswanderung nach Brasilien ist der Knabe separat konfirmiert"
dokumentiert Pastor Böster anschließend im Register.
Konfirmations-Denkspruch für Heinrich Friedrich Wilhelm Schröder:
"Der verborgene Mensch des Herzens, unverrückt, mit sanftem und stillen Geiste, das ist
köstlich vor Gott". (1.Peter 3,4)
Auch der Schwalinger Volkschullehrer Hans Klinge gibt seinem scheidenden Schüler
Heinrich Friedrich Wilhelm Schröder in dessen Poesie-Album zum Abschied einen christlichen
Spruch mit auf die Reise:
"Bleibe fromm und halte dich recht; denn solchen wird es zuletzt wohl gehen." (Psalm 37, 37)
Wenige Tage später, Mitte Januar 1924, steht die Familie Schröder an Deck der SS "Madeira" der
Hamburg-Südamerikanischen Dampfschifffahrts-Gesellschaft in Hamburg und nimmt Abschied von ihrer
Heimat - für immer. Heinrich Friedrich Wilhelm Schröder ist 54 Jahre alt, seine Ehefrau Catharina Sophie
Marie geborene Hebenbrock ist 46 Jahre alt und ihr Sohn Heinrich Wilhelm Friedrich Schröder wird seinen
15. Geburtstag in ihrer neuen Heimat Brasilien feiern.
100 Jahre später bittet der Enkel von Heinrich Wilhelm Friedrich Schröder in einer Nachricht aus
Brasilien den Pastor der St.Bartholmäuskirche in Neuenkirchen darum, für seinen Großvater im
Gottesdienst eine Kerze anzuzünden - zum Gedenken an dessen Konfirmation im Januar 1924.
Die Bitte des Enkels wurde gern erfüllt.
1910
SS Madeira, später Cap Verde und Raul Soares